Über den Wutbürger
von Fritz Ostermayer
F Ein Gespenst geht um in Europa: der Wutbürger, eine neue Erscheinung im System des hyperventilierenden Neoliberalismus, die wie auch schon alte Erscheinungen mit einer gewissen missionarischen Aura aufzutreten pflegt. Und auch in missionarischen Kategorien formuliert: gesundschrumpfen sollte er sich, der Finanzmarkt, zähmen sollten sie ihre Gier, die Manager, bescheiden sollten sie sich auf ihre ureigenste Aufgabe, die Banken und nicht zuletzt: dienen sollten sie wieder dem Volk, die Politiker.
T Bei aller Wut bleibt der Wutbürger systemgläubig, weil er als Bürger gar nicht anders kann: der Bürger im Wutbürger steht einer Tabula Rasa im Wege. Als Bürger kann er sich eine Welt ohne Kapitalismus gar nicht vorstellen, denn könnte er, wäre er womöglich ein Wut-Revoluzzer, oder noch schlimmer: ein Wiedergänger einstiger Zorn-Proletarier - ein heute nur noch als totes Gespenst vorstellbares Paradoxon, dessen letzte reale Erscheinung im England der frühen 80er Jahre von einer der größten Wutbürgerinnen, die die Politik je gesehen hat, zur Strecke gebracht wurde - von Margaret Thatcher.
F Deren wutbürgerlicher Furor gegen Gewerkschaften, Miners und überhaupt alles, was sich gegen die Diktatur der freien Märkte organisierte, legte mit den Grundstein für jene entsolidarisierte Ich- Ich-Ich-Gesellschaft, gegen die Thatchers ängstliche Zauberlehrlinge heute anheulen. Aber die Geister, die sie riefen usw.
T Von der interessanten Subspezies der neuen Wut-Millionäre braucht man nicht weiter reden: die zittern nur um die Sicherung des Wirtschaftsstandorts und fürchten höchstens noch, dass sie bald wie ihre amerikanischen Leidensgenossen in gated communities hausen müssen, bewacht von privaten Sicherheitsfirmen, auf eigene Kosten gar.
F Wir fragen uns, ob es stimmt, dass jede Gesellschaft und jede Zeit die Musik hat, die sie verdient? Zu Thatchers Zeiten sangen Heaven 17 in den offiziellen Hitparaden tatsächlich – man kann es sich heute kaum noch vorstellen: We Don’t Need This Fascist Groove Thang und meinten damit die Politik der Konservativen samt Falkland-Krieg und Privatisierungswahn.
T Ebenfalls in die Charts stürmten damals Fun Boy Three mit dem Hit The Lunatics Have Taken Over The Asylum, in dem Thatchers-Team als ein Haufen gefährlicher Soziopathen gezeichnet wird. Völlig unvorstellbar hingegen, dass heutige Popstars auch nur mit vage politisch- agitatorischen Inhalten Erfolg hätten – dabei hieß es doch immer, dass Krisenzeiten gute Zeiten für die Kunst wären. Da scheint die flächendeckende Versorgung des Publikums mit Casting-Shows und anderen widerwärtigen Selektions-Tribunalen beste Vernichtungsarbeit geleistet zu haben.
F Und Österreich? Was wäre, wenn es hierzulande mehr Kreiskys und Sigi Marons und weniger Luttenberger/Klugs und Reinhard Fendriche gäbe? Dumme Frage, deren Antwort sich selbst in den Schwanz beißt, denn hätten wir mehr Kreiskys und Marons, dann wären wir ja gar nicht so kleinmütig, dumpf-patriotisch und verspießert wie es uns nicht nur das Ausland immer wieder attestiert, sondern wir es auch tagtäglich in und um uns bewiesen kriegen.
T Wären wir also nicht die Wut-Kleinbürger, die wir sind, dann erledigte sich mit den Fendrichen auch gleich die Kronen Zeitung, der Herr Strache und die Feigheit von der Stammtisch-Hoheit. Im besten Fall bräuchten wir dann nicht einmal Kreisky und Maron, was leider auch wieder ziemlich Scheiße wäre. Aber bis dahin, auf diesem wahrscheinlich sehr langen Marsch hin zu einer couragierten Zivilgesellschaft, braucht es noch viele, viele Kreiskys, Marons, Attwengers, Textas, Ja Paniks und vielleicht sogar Vamummte.
F Und wer hätte gedacht, dass sich ein verdienter Recke wie Ry Cooder auf seine alten Tage noch zum amerikanischen Wut-Musiker wandelt? Anstatt die Banker mit Unsummen zu füttern, sollte man ihnen, meint Cooder in einem Interview, ihre Boni mit einer 44er Magnum auszahlen. Na wusch! Man stelle sich vor, der alte Ambros käme mit einem solchen Vorschlag daher ...
Fritz Ostermayer ist Autor, Musiker und DJ. Er arbeitete mehrere Jahre als Kulturredakteur beim FALTER und als Musikredakteur bei der Tageszeitung DER STANDARD. Nach mehreren Jahren als freier Radiomacher beim ORF siedelte er, mit der Gründung des Radiosenders FM4, dorthin über. Dort moderiert er zusammen mit Thomas Edlinger die Sendung IM SUMPF. Neben seinem musikalischen Schaffen werden seine Bücher vom Wiener Verlag, Edition Selene, veröffentlicht. Ebenso ist er seit 2012 Leiter der schule für dichtung.
Sie befinden sich auf der alten Seite der Garage X (2009-2014).
Den aktuellen Spielplan des WERK X finden sie unter www.werk-x.at!
5 JAHRE GARAGE X
© Alex Halada
Nach 5 Jahren Theaterarbeit mündet diese nun in einem Buch mit vielen Fotos und Gastbeiträgen namhafter TheatermacherInnen, MusikerInnen und KünstlerInnen wie Nicolas Stemann, Schorsch Kamerun, Angela Richter und Milo Rau.
"Ein typisches Beispiel für den lässig-unaufgeräumten Stil, den die GARAGE X etabliert hat." - Wolfgang Kralicek, Theater heute, Februar 2013
"Alexander Simon (...), ein fabelhaft eitles Mistviech, der den Autor Houellebecq mit scharfer Kontur verkörpert." - Egbert Tholl, Süddeutsche Zeitung, 21.11.2012
"...In Berlin im Hau oder in Wien in der Garage X, dort trifft man dann auf die Magie, die dem Stadttheater längst abhandengekommen ist..."
Peter Kern, Das Theater schafft sich ab, FAZ am Sonntag, 02.05.2011
"Die Garage X in Wien gilt als Ort, an dem sich auf fruchtbare Weise gesellschaftliche Gegenwart mit zwingenden Theatererlebnissen verbindet."
Hamburger Abendblatt, 08.12.2011
"Die Garage X tut sich als eines der führenden Theater Wiens hervor mit Gastspieleinladungen wie ans Hamburger Thalia Theater und Lob in der FAZ"
Dorothee Frank, Ö1, 28.01.2012
© WERK X
Wien (OTS) - Wie bei der Pressekonferenz der Wiener Theaterjury am Freitag 15.02.2013 durch den amtierenden Kulturstadtrat Dr Andreas Mailath Pokorny bekannt gegeben, werden das Palais Kabelwerk und die GARAGE X unter Partizipation der Gruppe dasKunst ab 2014 ein gemeinsames Projekt starten.
> mehr...